Das Ego, die Einsamkeit und die Ahnen

 

Du bist nicht “gut genug”. Du bist unvermeidlich.

zutiefst verbunden

Gefährlich und zutiefst verbunden.

 

Einen Ahnenaltar zu bauen, war mir als würdevoller Einstieg für die Mysterienschule erschienen.

Nun bin ich sprachlos.

Was für einen Sturm von Texten und Briefen und Social Media Reaktionen meine Idee ausgelöst hat. Nach wenigen Tagen ist der Ahnen-Workshop nahezu ausgebucht.

Offensichtlich ist Ahnenarbeit doch keine so abwegige Nischenidee. Aber es ist ja auch fast schon Winter, und wir sehnen uns nach Stille und Geborgenheit und dem Gefühl von Zuhause.

 

Das Wort „Ahnen“ lässt uns an Zuhause denken.

Das stimmt. Und es täuscht.

Zuhause, so wie ich es verstehe, ist die ganze Welt. Unsere wahren Ahnen sind kosmopolitisch. Sie haben einst zu Fuß die ganze Welt entdeckt. Und wer weiß, von wo sie, lange noch vor diesen irdischen Wanderungen, einst gekommen sind.

 

Mehr noch als nach einem Zuhause sehnen die meisten sich danach, nicht mehr einsam zu sein.

Hilft Ahnenarbeit da auch?

Zugegeben. Alleine vor einem Ahnenaltar zu sitzen, klingt nicht gerade nach Party.

Eine Briefeschreiberin befürchtet, durch Ahnenarbeit noch einsamer zu werden.

Sprechen wir über Einsamkeit!

Da ich selbst lange Zeit eine Einsamkeits-Spezialistin war, möchte ich dazu Folgendes sagen:

Einsamkeit ist nicht die Abwesenheit von Menschen, auch nicht die Abwesenheit von liebenden oder den richtigen Menschen oder von Soulmates und Zwillingsflammen oder der einen wahren Busenfreundin oder zehntausend likes.

Einsamkeit ist das Gefühl, nicht verstanden oder abgelehnt zu werden (oder die Angst davor).

 

Aber Achtung:

Unser Ego ist ein Trickster, der alles dafür tut, um sich als abgetrennt und möglichst ganz speziell zu erleben.

Unser Ego findet es weitaus besser, nicht verstanden zu werden, als plötzlich mit der ganzen Welt ozeanisch zu verschmelzen.

Für dieses Gefühl von Besondersheit nimmt das Ego gerne ein bisschen Traurigkeit und notfalls auch erbärmliche Traurigkeit und Kalsarikännit (Finnisch für: “sich in Unterhosen allein besaufen”) in Kauf.

Ein ganz besonders perfider Trick eines eher narzisstisch orientierten Egos ist folgender:

Die tiefe Angst, nicht gut genug für die Menschen zu sein und daher abgelehnt zu werden, wird umgedreht und als das Gefühl konstruiert, dass andere Menschen nicht gut genug für UNS seien. (fade, spießig, ungeimpft, geimpft, langweilig, ungebildet, eingebildet oder einfach nicht Teil unserer imaginären Gruppe)

 

Loneliness is an inside job: Menschen helfen uns nicht weiter, wenn es um Einsamkeit geht.

 

Im Zustand von Einsamkeit macht die Anwesenheit von Menschen, die sich, vor unseren Augen (oder im Internet), scheinbar wunderbar verstehen, alles 1000 Mal schlimmer – so schlimm, dass manche Leute vor lauter Einsamkeit rausgehen und wild in die Menge schießen oder Incel werden oder eine Kreuzschifffahrt buchen.

Wenn wir uns die Einsamkeit noch genauer ansehen, ist sie das unwiderstehliche, pervers befriedigende Gefühl, so anders und so falsch zu sein, dass überhaupt niemand uns jemals verstehen könnte.

Wir gehen fast automatisch davon aus, dass Menschen uns am Ende immer verletzen oder verlassen werden – was sie dann ja auch tun.

So besonders sind wir, lächelt das Ego und reibt sich die Hände.

 

Du bist nicht gut genug (gähn) - und du brauchst dennoch nicht mehr einsam zu sein.

“Gut genug” zu sein, ist eine nicht mehr ganz taufrische aber immer noch beliebte Idee in Selbstoptimierungskreisen. Das “genug” soll dem allzu verkrampften Selbstoptimierungswahn älterer Selbstoptimierungskreise entgegentreten.

Rein persönlich fand ich es niemals besonders attraktiv, “gut genug” zu sein. Um es zu präzisieren: Die schiere Vorstellung lässt mir Schauer den Rücken herunterrieseln.

Ich kann mir eine Menge interessante und aufregende Zustände vorstellen, die ich gerne einmal erleben würde.

“Gut genug” zu sein, zählt nicht dazu.

Es heißt, “gut genug” zu sein, bedeutet, nicht mehr um Liebe und Anerkennung kämpfen zu müssen - was wiederum auch eine sehr traurige Vorstellung ist. Das will ich definitiv auch nicht.

“Gut genug” zu sein, ist nicht nur fürchterlich unsexy – es würde das Ego auch keinesfalls davon abhalten, sich dennoch als abgeschnitten und, ergo, einsam zu erleben.

 

Beim Ego müssen wir ansetzen, wenn es um Einsamkeit geht.

Wir müssen dem Ego eine so unentrinnbare Verbundenheit mit allem Lebendigen gegen den Kopf knallen, dass es all seine Beteuerungen ein abgeschnittenes Einzelwesen zu sein, einfach fallenlässt und mit offenem Mund staunend zusieht, wie all seine filigranen Illusionen sich auflösen.

Ahnenarbeit verbindet uns mit dem Großen Netz. Und zwar pronto.

 

Ahnenarbeit hilft gegen Einsamkeit, nach meiner Erfahrung quasi sofort, denn die viszerale Erfahrung, Teil eines vieldimensionalen Netzes von Lebendigkeit zu sein, ist zuviel für unser eigensinniges, auf Abtrennung bedachtes, Ego.

Das trübsinnige “gut genug”-Getue fällt dann auch weg.

Mit den Ahnen zu arbeiten, lehrt uns, dass wir gar nicht anders sein können, als wie wir sind. Wir sind Teil des großen Netzes, in dem jeder einzelne Knoten genau am richtigen Ort ist.

„Gut genug“ zu sein ist demgegenüber eine sehr traurige und engherzige Realisation.

Wir müssen uns auch nicht einreden, dass wir “wundervoll” oder “geliebt” seien (oder was sonst noch so auf unseren Zettelchen steht).

(Das haben die meisten schon öfters versucht und haben damit nichts erreicht als geschmeidige Gegenargumente des Egos, dass uns ohne auch nur Luft zu holen sofort unzählige Beispiele nennen kann, die illustrieren, warum wir eben gerade nicht „wundervoll“ oder, absurde Vorstellung, „geliebt“ sind.)

 

Mit Ahnenarbeit erleben wir auf emotionaler Ebene, dass wir, genau so, wie wir sind, unvermeidlich sind. Es geht überhaupt nicht darum, dass wir wahnsinnig gut oder wahnsinnnig schlecht oder “gut genug” sind.

 

Wir sind nichts von alledem. Weder gut. Weder schlecht.

Wir sind.

Wir sind außerdem vollkommen unvermeidlich:

Wir sind das Produkt eines Millionen von Jahren währenden Prozesses. Wir sind ein Knoten in einem vieldimensionalen Netz, das seit Anbeginn der Zeit geknüpft wurde.

Dagegen kann das Ego wenig sagen.

Also schweigt es. Endlich.

 

In unserem zweistündigen Ahnenkurs erleben und kultivieren wir dieses Gefühl:

Wir sind ein unvermeidliches Naturereignis. Wie jedem Orkan oder jeder Mückenplage ist es uns somit aufs Köstlichste wurscht, ob wir “wundervoll” oder “geliebt” sind.

Wir, so wie wir sind, sind unvermeidlich und somit auch vollkommen richtig.

Danach beenden wir jeden weiteren Versuch der Selbstverbesserung und lehnen uns entspannt in unser So-sein zurück.

 

Ich finde das um Einiges aufregender als “gut genug” zu sein. Aber ich habe es, aufgrund mangelnder Ergebnisse, nicht so mit der Selbstoptimierung.

Magisch zu sein finde ich wesentlich interessanter.

christine li1 Comment