Totensonntag. Was tun mit Geistern und Ahninnen?

In ein paar Minuten beginnt der Totensonntag. Ist es nicht merkwürdig, dass die evangelische Kirche einen solchen Festtag eingerichtet hat? Sind die christlichen Toten nicht alle längst im Himmel? Warum sollten sie sich über laute Musik und Feste ärgern, welche am Totensonntag traditionell verpönt sind? Warum sollten wir uns überhaupt um die Toten kümmern?
Um die Trauernden schon eher. Aber dann müsste es Trauernden-Sonntag heißen. Gut. Lassen wir die Kirche ihre Feste feiern. Sinnlos oder nicht.

 

Tote in anderen Kulturen

In allen Kulturen und Religionen gibt es Rituale, um die Toten zu ehren. Das Bedürfnis sitzt tief, und die christlichen Kirchen haben verstanden, dass die Bedürfnisse des Volkes nicht ganz ignoriert werden dürfen, wenn die Leute nicht heimlich zu anderen Bräuchen Zuflucht nehmen sollen. Daher haben die Katholiken ja auch so gute Exorzisten. Als ich zum ersten Mal meinen kubanischen Lehrer und Babalawo (Santeria Priester) auf Kuba besuchte, schüttelte er betrübt den Kopf: „Du bist ganz voller Toter“.

 

Damals fand ich das äußerst befremdlich. Die Befremdlichkeit wurde nicht geringer, als ich ein Huhn schlachten musste, um das Blut auf einen Ziegelstein zu gießen, der in Zukunft mein Ahnenaltar sein sollte. Nach abgeschlossener Lehre schleppte ich das sperrige, blutverkrustete Ding zurück nach Deutschland und legte es brav an die vorgeschriebene Stelle. Eine Weile lang goss ich unenthusiatisch Rum und Honig darauf. Es war ein bisschen exotisch und strange, was ich definitiv mag. Zugleich war es für mich vollkommen ohne Inhalt und damit ohne Sinn.

 

Zumindest aber hatte ich eine Sache verstanden, und zwar eine äußerst wichtige:

Wenn man sich nicht um die Toten kümmert, bleiben sie bei uns, und in einem Land wie Deutschland, das mörderische Kriege, Hungersnöte, Inquisition und Pest ertragen musste, herrscht geradezu Gedränge vor lauter unerlösten Toten.

 

All diese Toten machen die Leute so depressiv. Dies zumindest war die Erklärung des kubanischen Babalawo für die betrübte Seelenlage der Mitteleuropäer, und sie leuchtete mir ein. Obwohl ich bald aufhörte, Honig und Rum auf meinen klebrigen Backstein zu gießen, lernte ich, nach und nach, auf andere Weise Kontakt mit den Toten aufzunehmen. Ich lernte es sehr, sehr langsam, muss ich dazu sagen. Zögerlich. Ein Teil von mir wollte es einfach nicht glauben.

 

Eine Besetzung wie im Lehrbuch

Dann geschah etwas, das mir keine Zweifel mehr ließ. Es geschah, als zwei, drei Kilometer von mir entfernt ein kleines Flugzeug abstürzte. Ich bemerkte nichts von diesem Absturz. Ich fuhr gerade durch die Stadt und wollte zum Amt. Während ich einen Parkplatz suchte, fühlte ich mich mit einem Mal, von jetzt auf gleich, vollkommen verwirrt. Zudem überfiel mich irrsinniger Heißhunger auf Fleisch und Zucker (dabei hatte ich gerade an jenem Morgen brav meinen Haferbrei gegessen und hatte keinerlei Grund, schon wieder hungrig zu sein). Ich fand einen Kebabladen und stopfte mit beiden Händen ein richtig schlechtes Kebab in mich hinein, so gierig, als käme ich direkt aus der Wüste. Der Besitzer des Ladens beäugte mich verwundert. Ich hätte glatt noch so ein vor Mayonnaise triefendes Ding verschlungen, wenn ich mich nicht doch etwas geschämt hätte. Dennoch schaffte ich es nur mit großer Willensanstrengung, nicht sofort noch zu McDonald’s zu gehen und auch nicht in die nächste Gelateria. Da ich all diese Dinge normalerweise gar nicht mag, wusste ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Was es war, hätte ich mir jedoch nie träumen lassen.

 

Kein Zweifel mehr

Als erstes beschloss ich, nach zwei Stunden orientierungslosem Herumirren, meine Haare schneiden zu lassen. (Dass ich eigentlich zum Amt wollte, hatte ich längst vergessen.)

Beim Friseur saß ich vor einem leisegestellten Fernseher. Ich sah ein kleines Flugzeug in einen Supermarkt stürzen. Mein Herz raste los. Meine Ohren schrillten. Ich schlotterte vor Angst. Unter den stummen Bildern lief ein Spruchband. Es verkündete, dass das Flugzeug genau in jenem Augenblick abgestürzt war, als meine Verwirrung begonnen hatte.

Immer noch verwirrt schaffte ich es, mit frisch gestutzten Haaren, den Weg nach Hause zu finden. Mein Herz schmerzte inzwischen mörderisch. Hinzu kamen ziehende Stiche den Arm entlang. Ich bekam kaum Luft. Zuhause fiel ich ins Bett, vollkommen entkräftet, eiskalt. Ich wollte nur weinen. Außerdem wollte ich ganz viel Schokolade. Es dauerte noch einen weiteren Tag, bis ich mir endlich eingestand, dass ich alle Zeichen einer Besetzung durch einen Toten aufwies.

 

So erkennst Du eine Besetzung durch Tote

Es ist gar nicht schwer, zu erkennen, ob du besetzt bist. (Es bleibt aber dennoch schwer, es zu glauben.)
Hier ist die Liste der Zeichen, die dich an eine Besetzung mit Toten denken lassen sollten:

  • Verwirrung

  • Identitätsverlust

  • Angst

  • Unbeherrschbare Gelüste auf Fleisch, Zucker, Alkohol, Drogen, Medikamente

  • andere Dinge, die nicht zu dir passen („Geschmacksverirrungen“)

  • Frösteln, blaue Finger, Gänsehaut

  • Stiche im Rücken

  • Bauchkrämpfe, Durchfall

  • Herzschmerzen

  • Atemnot

  • Erschöpfung

  • Gefühlstürme, Tränenausbrüche


    (Achtung: Viele dieser Symptome werden von unserer Medizin auf einen Herzinfarkt zurückgeführt. Der ist bei Besetzung mit Toten natürlich auch oft vorhanden. Es ist dann empfohlen, sich behandeln zu lassen. Nur Starrköpfe wie ich tun dies nicht.)

    Du erkennst dich selbst nicht mehr

    Das Entscheidende ist das Gefühl, jemand ganz anderes zu sein, oder zumindest nicht ganz die gleiche. Manchmal fragen auch Freunde:

    „Was ist denn mit dir los? So kenne ich dich ja gar nicht.“

    Ich zögerte immer noch, zu glauben, was ich eigentlich wusste. Den Ausschlag gab, dass ich sofort in zähneklappernde, schlotternde Panik verfiel, sobald ich an den Flugzeugabsturz dachte. Dabei hatte ich ja eigentlich nur ein paar flüchtige Fernsehbilder gesehen.

    Also setzte ich mich hin und zündete ein paar Kerzen an. (Empfohlen werden meistens weiße Kerzen. Aber an solchen Details soll es nicht scheitern.) Außerdem stellte ich Wasser, Wein und Essen auf die Fensterbank und erklärte dem toten jungen Mann, der mich besetzt hatte, dass er gestorben sei. Er war reichlich geschockt. Aber als er es verstanden hatte, ging er schnell und ohne Widerstreben fort. Das Ganze dauerte nicht lange. Danach war ich sofort wieder vollkommen normal.

    Diese Geschichte wollte ich gerne teilen, denn solche Dinge passieren sehr oft. Meist sind sie nicht so deutlich und nicht so eindeutig zu erkennen. Sie sind auch nicht immer so einfach zu lösen.

    Aber es lohnt sich immer, diese Möglichkeit im Auge zu behalten: Wie gesagt. Besetzung durch Tote ist nicht selten. In den meisten Fällen wird sie nicht erkannt. Dann wird sie chronisch und kann das Leben zum Alptraum werden lassen.


    Was tun mit den Toten?

    Manchmal halten Menschen bewusst ihre geliebten Toten bei sich und lassen sie nicht gehen. Sie stellen überall Fotos auf und reden mit ihnen. In meiner Praxis sah ich dies häufiger. Ich kann nur davon abraten. Da die Toten keine eigenen Körper haben, müssen sie im Körper der Lebenden bleiben. Das zehrt an deren Lebenskraft, schadet dem Herzen, kann tödlich enden oder zumindest in einer Depression.


    Für die Toten ist es auch unfair. Denn sie sind meist sehr unentschlossen, und wenn jemand sie hält, so finden sie ihren Weg nicht. Das schadet ihnen. Wer tot ist, ist tot und hat hier nichts mehr verloren. Daher wird in traditionellen Kulturen bei Bestattungen so heftig geschrien, geklagt und getrommelt: Die Toten sollen begreifen, dass sie tot sind und auf den Tönen davonreiten.


    Unsere derzeitige Kultur hat uns leider alle Mittel und alles Wissen genommen, mit einer so normalen Sache wie dem Tod unserer Leute umzugehen.

    Ein Partyverbot zum Totensonntag ist da relativ schwach.

    Und die Ahnen? Sollen wir die nicht ehren?

    Niemand soll irgendetwas. Aber gut. Die Frage lautet also:

    Wenn die Toten unbedingt gehen sollen, was ist dann mit den Ahnen, die wir doch verehren sollen?

    Wir verehren nicht jeden beliebigen herumspukenden Geist, wenn wir die Ahnen verehren. Auch wenn es der Geist des netten Onkel Sebastians ist: Ein Geist ist ein Geist und muss sich erst vollkommen von der Erde lösen. Nachdem Tote sich weiterentwickelt und von nahezu allem Irdischen gereinigt haben, kommen manche Toten als hilfreiche Ahnen zurück.

    Oft dauert es viele Generationen, ehe sie wiederkommen, oder ehe sie jemand der Lebenden zur Kenntnis nimmt.


    Auch wenn erlöste Ahnen frei von irdischen Bedürfnissen sind, so erinnern sie sich doch an allerhand Dinge. die sie früher mochten. Darüber lässt sich mit ihnen Kontakt aufnehmen. Die Ahninnen schätzen es, wenn ihre Nachkommen sie auf diese Weise ehren und zeigen, dass sie eine Verbindung wünschen. Vor allem für uns kann es sehr heilsam sein, uns auf den Boden zu setzen und mit den Ahnen zu essen und zu trinken. Es verbindet uns mit unseren Wurzeln. Die Ahninnen brauchen unsere Opfer nicht.


    Spiritisten, deren Religion sich auf Tote spezialisiert hat, stellen gerne eine Testfrage, wenn sie einem Toten begegnen. Sie fragen, was er/sie will. Wenn die Tote ein Glas Wasser, einen Schnaps, etwas zu essen oder (wie im Film) Rache will, dann ist sie ein Geist und muss weggeschickt werden. Geister sind weitgehend machtlos und können nur agieren, indem sie einen lebendigen Körper besetzen. Dieses wiederum tun sie, indem sie unseren Geist verwirren. Das will doch niemand.

    Wenn das unbekannte Wesen aber rein gar nichts will, nur Weisheit, Güte und Wohlwollen ausstrahlt und sich außerdem auch nicht im Körper einnistet, dann ist es vielleicht eine Ahnin oder ein Ahn. Die darf man gerne zum Essen einladen. Schamaninnen verschiedener Traditionen und Spiritisten laden solche Ahninnen außerdem gern ein, eine Weile im eigenen Körper Platz zu nehmen und durch den lebendigen Mund zu sprechen.


    Spiritismus: Lieber nicht zuhause nachmachen

    Uneingeweihte und noch nicht ausreichend gekräftigte und ausgebildete Menschen sollten dies lieber nicht tun. Erlöste Ahninnen schaden uns nicht. Aber wer weiß, wer wirklich auf unsere Einladung kommt. Die meisten von uns sind nicht klar und stark genug, um zu erkennen, wer da kommt.

    Jemand Fremdes in den eigenen Körper einzuladen, ist selten eine gute Idee. Hinzu kommt, dass wir durch Trauma und seelische Entkräftung und Seelenverlust oft große innere Lücken und Defizite haben. Dort setzt sich leicht etwas fest, was dann nicht mehr gehen will.

    (Ja. Dies gilt auch für Sex.)

    Die meisten von uns sind ein Sammelsurium fremder Wesen: Tote, der eigene Schatten, Gedankenformen, unaufgelöste Erinnerungen und Eindrücke, Flüche, Naturgeister, unerfüllte Wünsche.


    Krabbeler und Kriecher nennt die alte Köchin Mali im Abalone Buch solche Wesen, und Abalone kennt einige Maßnahmen, sich zu schützen. Sie lebt in einer Kultur, in der diese Dinge bekannt sind.


    Wir müssen dies alles erst wieder lernen. Solange wir es nicht können und solange unsere Seele durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse, sollten wir uns vorsehen. In einem solchen Zustand sind wir sehr anfällig, von Wesen überwältigt zu werden, die stärker sind als wir.

    Fazit: Meistens ist das Ergebnis einer Besetzung durch Tote oder Geister nicht wie im Film: Wir werden einfach traurig, unsicher, unfokusiert und chronisch krank. Magen-Darm-Beschwerden, Hautentzündungen und ein schwaches Herz sind typische Symptome. Und natürlich Depression, Antriebslosigkeit, Ängste und Süchte.


    Dies sind alles Zeichen, dass wir selbst zu schwach sind, um all die Wesen zu tragen und zu nähren, die wir so mit uns herumschleppen.


    Also, bitte, nicht noch mehr “Krabbler und Kriecher” einladen! Keine komischen Zeremonien, keine Ouija-Bretter und schon gar keine Ritualmagie, wenn Du dich nicht auskennst und niemanden hast, die dich unterstützt und auf den Teppich zurückholt.

    Dies gilt auch für Experimente mit Entheogenen. Lieber nicht alleine.


    Wenn Du eine Hexe bist, wirst du natürlich trotzdem tun, wonach du lustig bist. Dies ehrt dich. Respekt!

    Wenn dein Leben durch diesen Übermut zeitweise etwas ungemütlich wird oder Du fast ganz den Verstand verlierst, weißt du jetzt wenigstens, was Sache ist. Und Wissen ist Macht. Darum geht es.

    Warst Du schon einmal besetzt? Oder hattest den Verdacht? Wie hast Du die Lage gelöst?

    Es wäre wirklich sagenhaft, wenn hier in den Kommentaren viele schreiben würden, wie es ihnen mit den Toten ergangen ist. Wir brauchen alle unser gegenseitiges Wissen!
    Schreibt!