Vollmond im Stier: Der Aufstand um die Menstruation

Warum sind wir während der Menstruation so intensiv? Weil Magie.

Der intensive Blick. Gefühle, die alles unter sich begraben wie eine Gerölllawine. Die uns zur Killermaschine machen, zum Nervenbündel, oder uns die unangenehme Wahrheit aussprechen lassen. Zum Verrücktwerden. Jeden Monat das gleiche.

Es nervt. Es kann ja nur nerven, wenn betäubte Gefühle sich aus dem Schlaf erheben. Wenn das Drachenfeuer erwacht und die Kundalini außer Rand und Band gerät.

Gefühle sind die Substanz der Magie. Wenn wir in rasendem Zorn jemanden verfluchen, hat es einen Effekt. Wenn wir jemandem einen Segenswunsch schicken, während unser Herz vor Liebe und Dankbarkeit überfließt, kommt unser Wunsch an. Wenn wir, ohne groß zu planen, ohne groß nachzudenken, für liebe Freunde kochen, entsteht oft ohne Rezept ein magisches Gericht.

Der Alltag und die Dauerberieselung seit unserer Geburt, die uns sagt, dass wir nicht magisch und mächtig sind und uns besser kontrollieren sollen, macht uns schwach. Hält uns nieder. Während der Menstruation rütteln wir an diesen Fesseln, geraten buchstäblich außer Rand und Band. Krämpfe sind Ausdruck unseres Befreiungskampfes. Sind die Fesseln sehr stark, bleibt es bei Schmerzen. Dann fließt erst einmal nichts. Dann. Klumpen. Dünnes Blut.
Aber wenn sie dann fließt….

(Und von dem, was passiert, wenn sie dann eines Tages gar nicht mehr fließt und sich unser Qi wieder mit dem Qi der Erde harmonisiert – davon fang ich hier erst gar nicht an.)

 

Warum menstruieren wir überhaupt? Weil Kultur.

Die Anthropologen und Primatenforscher zerbrechen sich den Kopf, warum menschliche Frauen so stark bluten. Eine solche Blutung ist biologisch nicht erforderlich. Unsere Cousinen, die Primatenfrauen, bluten fast unmerklich. Dafür haben die Äffinnen einen nicht zu übersehenden Eisprung, mit dicken roten Schamlippen und einem Duft, der die Männchen auf weite Entfernung anlockt. Dieser Östrus hat eine klare biologische Bedeutung. Er zeigt den Primatenmännern, wann es an der Zeit ist, sich gegenseitig zu verprügeln, um zu entscheiden, wer die Frau bekommt.

Einen solch aufregenden Östrus können Menschenfrauen nicht. Es scheint, sie wollen ihn auch nicht. Schließlich lässt dieser Östrus den Affenfrauen keine Wahl, ob sie den blöden Alpha überhaupt wollen. Sie müssen. Und sie können es nicht verbergen.

Menschenfrauen signalisieren eher Abweisung (während der Blutung) und zu allen anderen Zeiten signalisieren sie gar nichts Genaues. Außer sie wollen es. Aber auch dann müssen sie sich etwas einfallen lassen. Auf ihre wenigen Duftdrüsen allein können sie sich nicht verlassen. Da braucht es Ambra und Oud.

Um noch neutraler zu erscheinen, haben Menschenfrauen zusätzlich, im Unterschied zu Affen, zu allen Zeiten und nicht nur während der Schwangerschaft, geschwollene Brüste, die jedem vernünftigen Affenmann nur eines signalisieren würden: Diese Frau ist schwanger, da halt ich mich zurück.

 

Frauen, die die Pille nehmen, verstärken diesen allgemein unerotischen Eindruck noch, denn auch die Pille versetzt den Körper in einen Zustand ohne Eisprung und „ein bisschen Dauerschwangerschaft“. Vielleicht liegt hier ja ein zusätzlicher und verborgener Grund, warum Menschenmänner oft so unmotiviert sind.

Immer mehr lernten Menschenfrauen, mit ihrem Körper Dinge auszudrücken, die weitaus komplexer waren als: „Eisprung, los jetzt, Alter!“
Während die Signale des Körpers immer indifferenter wurden und die Menschenfrauen langsam zu Bewusstsein kamen, mussten sie lernen, selbst zu entscheiden, ob sie wollten, wie sie wollten und mit wem. Oder ob sie lieber etwas ganz anderes wollten. Der weibliche Körper lernte, immer feiner auf all diese vielfältigen Motive und inneren Bilder zu reagieren. Mithilfe von Hormonen, deren Steuerungszentrum im Kopf liegt, lernten wir, vom Geist generiertes Begehren aufs Genaueste zu verkörpern.

 

Im Laufe der Hunderttausende von Jahren wurde der weibliche Körper damit zum ersten Werkzeug der Sprache, der Kunst, der Magie und damit der Kultur.

 

Und was ist mit dem Mond?

Gute Frage, Schwester! So richtig natürlich ist die Sache mit dem Mond nämlich nicht. Menschenfrauen sind tatsächlich die einzigen landlebenden Säugetiere, die ihren Zyklus mit dem Mond synchronisieren können, oder mit anderen Frauen, oder mit beidem.

Indem die Frauen ihre körperlichen Rhythmen mit dem Mond synchronisierten, erschufen sie eine universelle kosmische Ordnung. Die Zeichen des Himmels und die Zeichen des weiblichen Körpers übersetzten sich ineinander.


Die Frauen verkörperten den Willen der kollektiven Frau: Der großen Göttin. Und diese Göttin ordnete das Leben des Volkes: Bei Vollmond kamen die Männer ins Camp oder ins Dorf, sie brachten Fleisch oder Fisch. Dann wurde gebraten und gefeiert. Feuer loderte. Trommeln dröhnten. Partytime.
Bei Neumond zogen die Frauen sich gemeinsam mit den anderen Frauen zurück, um zu bluten und auf die inneren Zeichen der Erde zu lauschen.

Jeder Mann, ganz gleich wo er war, der zum Himmel sah, verstand die Zeichen zu lesen und wusste: Es ist wieder Menstruationszeit. Da halte ich mich raus. Sonst trifft mich der Zorn der Göttin. Ich geh lieber jagen. Oder angeln. Wenn die Göttin sich wieder beruhigt hat, kommen Fleisch und Fisch immer gut an.

Stadtfrauen sind überwiegend nicht mehr mit dem Mond synchronisiert. Wir müssen zu viele widersprüchliche Einflüsse miteinander verrechnen. Wer zurück zum Mondrhythmus will, kann dies tun, indem sie während zwei Tagen vor dem Vollmond bis zu zwei Tagen nach dem Vollmond bei Licht schläft. (Die Forscher, die dies mit großen Erfolg erprobten, haben eine 100 Watt Birne verwendet, also recht hell. Aber bei Vollmond auf einem Baum zu schlafen, wie unsere Ahninnen dies taten, war eine helle Angelegenheit.)

Wie es aussieht, haben wir Menschenfrauen auf dem Weg zum Menschsein ein paar Tricks gelernt und ein paar verloren. Wir sind aus einer einfach und klar zu interpretierenden biologischen Situation in das Reich komplexer Bedeutungen übergewechselt. Unser weiblicher Körper kann Bedeutungen und soziale Situationen aufnehmen und in eigene Funktionen übersetzen.

Unser weiblicher Körper ist die ursprüngliche Sprache. Er spricht über den Mond und die Gezeiten, über unsere Schwestern und Mütter, über unser Begehren und unseren Hunger nach dem Fleisch der Jäger.

Am Anfang war das Wort, heißt es ja so schön. Ich wünsche mir, dass wir diese allererste Sprache unserer Ur-Ahninnen wieder lernen.Das erste Wort darin hieß: Menstruation.

Ein andermal mehr. Heute ist Vollmond, und ich muss raus ans Wasser.

 

Was macht ihr zu Vollmond? Zu Neumond? Oder seid ihr “Freibluterinnen”? Habt ihr euch schon bewusst mir den Frauen synchronisiert, mit denen ihr zusammenlebtet?

Blutchristine li3 Comments